Habe nun ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und auch Goethes Faust
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug, als wie zuvor.
Mainaschaff. So wird es gar manchem Zuschauer bei der Faust-Premiere des Marionettentheaters »Puppenschiff« gehen, der sich allzu sehr und ausschließlich auf der Tragödie ersten Teil des Weimarer Klassikers verlegt hat. Das Spiel, das am 22. Januar auf die offene Bühne in der Mainaschaffer »Krone« kommt, ist ein neuer alter Faust, ein moderner Ahn des Goetheschen; und der demonstriert per se, wie wenig eingefahrene (Zitat-)Wissens-Aneigung bringen kann.
Die »Puppenschiff«-Crew um Bernd Weber (»den Faust zu spielen, das ist ein Traum, den schiebt man das ganze Leben vor sich her«) greift bewußt in die Prä-Goethesche-Zeit zurück. Statt langer Monologe, für die die hölzernen Marionetten keinen Ausdruck finden können, will das Ensemble nachdenkenswerte Aktionen präsentieren. Und die bieten die seit 1746 nachweisbaren Puppenspiele.
Derer 20 sind bekannt, darunter die Ulmer Fassung, zwei Augsburger und die Straßburger, die Goethe wohl gesehen haben mag. Aus all diesen Versionen puzzelte 1846 Karl Simrock seine eigene Fassung zusammen - 1994 die Basis für die Aufführung in Mainaschaff. Seit einem halben Jahr feilen die Fädenzieher nicht nur an ihren Marionetten, sondern auch am Simrock-Text. Die Sprache wurde genauso aktualisiert wie die Witze, Passagen aus zugrundeliegenden Puppenspielen zeitgemäß eingeflochten, die noch nicht emanzipierte Gretl, die Schläge von ihrem Mann - man höre und staune dem Kasperl - einstecken muß, gestrichen.
Denn nicht wie bei Goethe stehen »nur« die zwei Seelen, die ach, in Faustens Brust schlagen, im Vordergrund; mit der lustigen Person (die wiederum nicht identisch ist mit der in Goethes Vorspiel auf dem Theater), kommt ein drittes Organ hinzu: der Magen. Kasperl irrt sich nicht, weil er nicht strebt. Er stillt seine Grundbedürfnisse, vor allem den Hunger, und ist zufrieden.
Als Synthese aus dem Arlecchino der italienischen Commedia dell'Arte und dem Hanswurst der deutschen Volksbühne ist er einerseits platt spaßig, andererseits naiv treffend. Er ist es, der das alte Puppenspiel vom Doktor Faust zu einer Mischung aus Burleske und spätmittelalterlichem Mysterienspiel macht. Denn die Schlußsentenz »Lobet Gott den Herrn«, spricht auch er, der Kasper-Schalk.
Ohnehin heißt's für Goethe-Faust-Anbeter vor der Tür der Mainaschaffer »Krone« Abschied nehmen von überhöhendem Prolog im Himmel, von Gretchen, Walpurgisnacht und dem fast schon sophisticated zu nennenden Mephistopheles. Mephisto ist nicht immer die sich ästhetisch durchdacht vorstellende Figur gewesen, die behauptet: »Ich bin der Geist, der stets verneint / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / Ist wert, daß es zugrunde geht.« - Mainaschaffs Mephisto ist so schnell wie der Gedanke.
Womit er den nationalistisch geprägten Faust zum Pakt mit dem Teufel schon so gut wie überredet hat. »Der Vertrag mit den bösen Mächten ist überall«, sagt Bernd Weber. Und er denkt dabei nicht einmal ganz direkt an den aufkommenden Okkultismus, an die drei Jugendlichen im thüringischen Sondershausen, die sich als »Satanskinder« bezeichnen und ihren Mitschüler im vergangenen Jahr ermordeten. Weber sieht im Pakt auch Wirtschaftsminister, die die Waffenproduktion ankurbeln wollen.
»Babys mit eingeschlagenen Schädeln, Krieg im ehemaligen Jugoslawien, ...«, zählt Claudia Trunk auf: »Da lebst du in einem kultivierten Land und es passieren dauernd schlimme Sachen. Da fragst du dich, was uns das ganze Streben nach Wissen gebracht hat.«
Zwar schimmert nach mehreren ironischen Inszenierungen des Puppenschiffs jetzt Pessimismus durch, doch die Künstler sind von düsterer Apokalypse weit entfernt. Claudia: »Die einen machen Lichterketten, wir den Faust.«
Faust und Faschismus - auch das ein Thema, das sich in der langen Kette der Faustbearbeitungen schon findet: Klaus Manns Mephisto und Thomas Manns Doktor Faustus sind neben der Nikolaus von Lenaus die wichtigsten literarischen Fassungen nach Goethe. Über 400 Jahre hält mittlerweile die Faszination an, für die einst eine historische Gestalt sorgte. Es könnte der Frankfurter Wigand Faust gewesen sein, oder sein Nachfolger Lorenz Faust, oder der umherziehende Georg Faust, auf dessen wunderlichem Schaffen die Faust-Sage beruht, die schon 1587 als Volksbuch mit dem Titel »Historia von D. Johann Fausten« gedruckt wurde.
Was davon in Mainaschaff ankommt, zeigt sich am nächsten Samstag:
Der Worte sind genug gewechselt, laßt uns auch endlich Taten
sehen!
Manuela Klebing