Es war eine Premiere der Sonderklasse! Das Stockstädter »Puppenschiff« stellte am Mittwoch abend im Zimmertheater der »Jungen Bühne« einem enthusiasmierten völlig ausverkauften Haus seine neueste Produktion vor: »Wer ist in mein Fettnäpfchen getreten? - Schneewittchen für Erwachsene.« Immer wieder gab es starken Szenenapplaus und der Jubel nahm kein Ende, als Bernd Weber mit seinen Puppenspielern den wohlverdienten Schlußbeifall entgegennahm. Der große Erfolg der neuen Produktion des nun seit 13 Jahren bestehenden Marionettentheaters schlug sich auch im Kassenrapport nieder. Die vier angesetzten Vorstellungen waren schon vor der Premiere restlos ausverkauft. Das bedeutet: Die Intendanz der »Jungen Bühne« wird wohl oder übel weitere Aufführungen ansetzen müssen, um alle Fans des »Puppenschiffs« in den Genuß dieses Brillantfeuerwerks an Witz, Komik, Humor, Gags und virtuoser Puppenführung zu bringen.
Bernd Weber, der das »Puppenschiff« 1973 gründete, fiel der Erfolg nicht in den Schoß. Was als Liebhaberei begann, entwickelte sich nach und nach zu einer ständigen Kultureinrichtung, die es in Unterfranken, ja selbst in Nordbayern bzw. im Freistaat in dieser Form nicht noch einmal geben dürfte.
Unter der Leitung von Bernd Weber engagieren sich heute 15 junge Leute für ihr »Puppenschiff«. Ideen, Texte, Musik, Puppen und Kostüme entstehen in Gemeinschaftsarbeit. Das gibt den Produktionen des »Puppenschiffs« eine unerhörte Dichte und Geschlossenheit.
»Wer ist in mein Fettnäpfchen getreten?« ist mehr als nur ein Marionettenkabarett für Erwachsene, es ist ein Puppenmusical, das Vergleiche mit der Muppet-Show oder der »Augsburger Puppenkiste« nicht zu scheuen braucht. Worum es diesmal geht, sagt uns Bernd Weber:»Jeder Schritt, den wir heute tun, wird von den unterschiedlichsten Organisationen, Behörden, Institutionen, öffentlichen Meinungen und Interessenverbänden überwacht, beobachtet, registriert, reglementiert, angefochten oder gar bezuschußt.
Nun will unsere Puppentruppe, das altbekannte Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen aufführen: aber unter diesen Bedingungen ist das gar nicht so einfach. Die verschiedensten Interessengruppen - von der Psychologenvereinigung bis hin zu den Naturschützern haben natürlich von diesem Märchen ihre eigenen Vorstellungen und mischen kräftig mit, so daß unsere Puppen aufpassen müssen, in dem heillosen Verwirrspiel nicht in eines der zahlreichen Fettnäpfchen zu treten!«
Trotz Wagnerlänge war das Verwirrspiel um Schneewittchen nicht eine Sekunde ermüdend. Dafür sorgten schon die überreichlich aufgestellten »Fettnäpfchen«, in die zum allergrößten Vergnügen des Publikums immer wieder nach Herzenslust hineingetreten wurde. Über »Spieglein, Spieglein an der Wand« bekam der »Spiegel« sein Fett weg, der Umweltschutz wurde charmant auf die Schippe genommen und auch die avantgardistische Regisseurin Ruth Bergbaus mußte Haare lassen.
Einfach umwerfend die »Miß Schneewittchen-Wahl«, die Auseinandersetzung der bösen Königin mit einem TV-Techniker, das »Waldkonzert« mit der Geigenvirtuosin Grille und dem Klaviertitanen Igel und ihren Zuhörern Hase und Rabe. Kabinettstücke waren immer wieder die Dialog-Szenen mit den Bühnenarbeitern Chopinski und Bachinger und die Szene, in der die Märchen vorlesende Großmutter von den Medien, Transistorradio, Fernsehen, Plattenspieler und Kassettenrecorder regelrecht in die Flucht geschlagen wird.
Um den Marionetten einmal eine Verschnaufpause zu gönnen, traten verschiedene Puppenspieler nach bewährtem »Lilli«-Muster immer wieder persönlich auf, diskutierten miteinander oder sprachen mit dem Publikum und den Puppen. Trotz des manchmal doch etwas verwirrenden Verwirrspiels blieb vieles von der Poesie, die nun einmal mit dem Puppenspiel verbunden ist, erhalten.
Es war ein großer Puppentheaterabend und dafür dem Stockstädter »Puppenschiff« ein herzliches Dankeschön.
J. Ripphausen