Zahlreiche »Fettnäpfchen«: Ironischer

Seitenhieb folgt satirischer Anspielung

»Puppenschiff« bestach mit Bewährtem und doch Neuem


Mainschaff. Die Besucher wagten kaum zu lachen, am Samstag in der Mainschaffer »Krone« während des Marionettenkabaretts »Wer ist in mein Fettnäpfchen getreten?«. Sie fürchteten, die nächsten Feinheiten zu verpassen. Denn die treten im wiederaufgenommenen Stuck des Puppenschiff-Ensembles so unzählig auf wie die Marionetten: Ironischer Seiten hieb folgt satirischer Anspielung.

Grotesker Ernst

Den grotesken Ernst geben der Schneewittchen-Persiflage verwirrende Inszenierungskniffe. Die Puppenspieler unterhalten sich während der Aufführung untereinander und mit den Marionetten darüber, ob Märchen in der heutigen Zeit noch eine Berechtigung haben, ob sie spielbar sind.

Der Zuschauer wird hauptsächlich auf zwei Ebenen durch die Inszenierung geführt. Zum einen auf der des Stückes im Stück: Auf der kleinen Marionettenbühne soll das Märchen Schneewittchen aufgeführt werden. Auf der Simultanbühne erfährt das Publikum die andere Ebene, wo sich die Puppenspieler Bärbel Dörfler und Claudia Trunk live über die Art und Weise einer Märcheninszenierung streiten.

Schiefe Ebene

»Nur was realistisch ist, das zählt«, behauptet Claudia. Etwas ganz »Progressives« fordert sie, als sie als Marionette, sich selbst parodierend, auf der Bühne erscheint. So wie sich hier die beiden Ebenen vermischen, bereitet das Ensemble dem Publikum ständig schiefe Ebenen, die es aufs Glatteis rutschen lassen, es Doppelbödigkeit von Illusion und Wirklichkeit spüren lassen.

Solange bis der Zuschauer die Aussage des Ensembles versteht: nicht mehr weiß, wer die Fäden nun eigentlich in der Hand hält. Die Diskussion um den Inhalt des Stücks bestimmt dessen Form. Es entstehen jeweils in unterschiedlicher Dosierung von Wirklichkeit, Märchen und Theater in sich geschlossene Szenen: ein Spiegelkabinett grotesk-absurder (Bühnen)Realität.

Beinahe sinnlos mutet es an, einem roten Faden in der Handlung zu folgen.

Denn sogar die Marionetten sind nicht nur in die Handlung verstrickt, sie verstricken auch sich selbst darin. Der zunächst orientierungslos gemachte Zuschauer will das Bühnengeschehen aufräumen. Und so gibt ihm das Ensemble zwei, die aufräumen, die Bühnenarbeiter Bachinger und (S)Chopinsky an die Hand.

Schneewittchen-Vamp

Neben den Aufführungsproblemen machen den Puppen und ihren Spielern Instanzen, Ämter, Zweckverbände und sonstige Institutionen zu schaffen, in deren Fettnäpfchen sie unwillkürlich treten. Ein Schneewittchen könne man nicht so einfach auftreten lassen, legt Frau Doktor Meisenklug ihr Veto ein. Sie einigt sich schließlich mit Puppenspieler Bernd Weber, die Wahl der »Miß Schneewittchen« abzuwarten..

Hier zeigte sich, wie das Puppenschiff-Ensemble mit Hingabe jede Idee sowohl technisch perfekt wie katbarettistisch durchdacht ausspielt: Die Marionetten »Schürie« zog verschiedene Tafeln mit den Bewertungen für die Bewerberinnen. Und die reichten vom Schneewittchen-Vamp (»So ein Zwerg ist ja auch nur ein Mann«), der sich die brennende Zigarette im Aschenbecher ausklopft, bis zur Frauenzeichen-Trägerin (»Schneewittchen aller Märchen vereinigt euch!«).

Klischees enttarnten immer wieder Klischees: Der bayerische Jäger Xaver Untermoser, der Schneewittchen töten will, als er hört, daß es eine Preußin ist. Sofort tritt ein Herr in blau-weißen Rauten auf und protestiert gegen die Verunglimpfung des Bayerischen.

Verwahr-Los

Oder: Die böse Stiefmutter ist neidisch auf Schneewittchens Schönheit, weil das Mädchen für die Schönheitsprodukte der erfolgreichen Konkurrenz wirbt. Und die Zwerge persiflieren einen Junggesellenhaushalt hoch sieben: »Kommt jetzt keine Frau ins Haus, dann haben wir ein schweres Los, ein Verwahr-los.«

So wie hier betrachtet das Ensemble die Sprache noch oft: Die Sicherung fliegt wirklich raus, und die Kamera läuft tatsächlich - diese überraschenden Momente sind Teil des Komiksortiments des Ensembles, das für jeden etwas bietet. Wenn der Elektriker der Stiefmutter den Strom erklärt, findet nicht allein der zuschauende Elekriker den Draht dazu.

Und selbst wenn er mal nicht gleich zu finden ist, dann helfen Bachinger und S(Chopinsky). Wie bei der Apfelszene: Schneewittchen als Urweib Eva und die böse Königin als Schlange. Die Theaterformen häufen sich, die Regiekonzepte werden extremer, aber der Wunsch des kleinen Marionettenmädchens, das Märchen so zu hören, wie es im Buche steht, wird nicht erfüllt.

Claudia Trunk begründet dies damit, daß das Mädchen endlich aufhören müsse, so naiv zu sein. Lebensläufe seien keine Märchen. »Wer ist in mein Fettnäpfchen getreten?« ist scheinbar aus dem Grund gespielt worden, den Bärbel Dörfler am Ende besingt: Die Welt gleiche einer Marionettenbühne. Es entsteht der Eindruck, das Stück sei eine szenische Umsetzung der fatalistischen Worte von Büchners Danton:»Puppen sind wir,von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! Die Schwerter, mit denen Geister kämpfen - man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen.«

Manuela Klebing

Main-Echo vom Montag, 29. April 1991