Eine wahrhaft weihnachtliche Geschichte
»Jamu und sein Dromedar« im Mainaschaffer.»Puppenschiff «: wunderbar in Szene gesetzt


Wer weiß schon, daß einer der Drei Heiligen Könige, Balthasar, einen Neffen namens Jamu hatte. Und daß es dessen Dromedar war, das Maria und das Jesukind nach Nazareth trug. Die Geschichte von »Jamu und seinem Dromedar« erzählt das Mainaschaffer Marionettentheater »Puppenschiff« in seinem neuen Kinderstück, das am Sonntag Premiere hatte. Das Puppenschiff schafft das, was Schoko-Nikolaus und künstlichem Tannengrün oft nicht mehr gelingt: daß einem »weihnachtlich« zumute wird.

Bewußt setzt sich das Puppenschiff in seinem Marionetten-Spiel von süßlichem Adventskitsch und zwanghaftem Heilig- Abendrummel ab. Deutlich singt gleich zu Anfang Balthasar seinem Neffen ins Ohr:»Nicht jeden Wunsch erfüllt Dir diese Welt«. So beginnt die erste Szene auf dem Basar in Babylon:

Jamu wünscht sich ein Dromedar, doch der Onkel hat nicht genug Geld dafür. Der Kamelanpreiser nutzt seine Chance und verkauft Balthasar den Ladenhüter; kein ein-höckriges Dromedar, sondern ein kein-höckriges Dromedar. Obwohl Jamus Freunde spotteten, das Tier sehe aus wie »ein großer Ziegenbock« hält Jamu zu einem Außenseiter (unter den Tieren). »Du bist mein Dromedar« - »Und du bis Jamu, mein Freund«, antwortete das Tier. . Was Balthasar, Jamu und ein Dromedar mit Weihnachten zu tun haben, wird erst in der nächsten Szene offenbart. Als Balthasar und zwei weitere Sterndeuter einen hellen Stern entdecken. Da meint der eine:»Wenn Melchior einen Stern entdeckt, dann sehe ich schwarz.« Worauf Melchior brummelt:»Den alten Witz kannst Du Dir sparen.«

Das Stück versucht, an die eigentlichen geschichtlichen Personen heranzukommen, sie vom Heilige Dreikönig-»Kult« zu befreien. »Heilige Drei Könige wird man uns später einmal nennen«, weiß Balthasar, als sie dem neugeborenen König die Geschenke überbringen. Sowohl die Weisen-aus-dem-Morgenland-Geschichte als auch der Krippenspiel-Stoff sind »nur« zwei Handlungsstränge, die sich mit dem Jamu-Abenteuer verbinden. Er ist die Hauptfigur, mit dem die kleinen Zuschauer mitlachen und mitleiden.

Beispiel. Der Sandsturm, in dem Jamu und sein Dromedar, das danach zu schwach ist, um weiterzugehen. Der Geier krächzt bereits eine (Wüsten)Wahrheit: »Wer schwach ist, hat kein Recht zu überleben!«

Doch Jamu und das Dromedar erreichen HerodesÂ’ Palast in Jerusalem, wohin sie mit den Sterndeutern aufgebrochen waren, um dem »Retter der Welt« zu huldigen. Der als diktatorisch in Puppen-Szene gesetzte, machtbesessene Herrscher ordnet egoistisch kalkulierend an, alle Kinder unter zwei Jahren zu töten.

Inzwischen hat Jamu sich mit Sara angefreundet. Mit ihr bringt das Puppenschiff den geschichtlichen Beweis: auch in Judäa war die Welt klein. Sara berichtete nämlich von einem Bekannten, der einen Mann und eine schwangere Frau in seinem Stall aufgenommen hat. Jamu und den Sterndeutern gelingt es, Maria und Josef vor Herodes zu warnen.

Und Jamu trennt sich von seinem Dromedar, damit es Maria aus der Gefahrenzone tragen kann. Erhaben tröstet das Tier Jamu über den Trennungsschmerz:»Ich trage Gott«. Hier fällt zunächst der Vorhang für Jamu und sein Dromedar. Zuletzt findet das Tier zu Jamu nach Babylon zurück und erzählt den Rest der Weihnachtsgeschichte - und eine wunderbare Höckvermehrungs-Geschichte dazu. Denn das Dromedar hat plötzlich einen Höcker: Oh, (Weihnachts-)Wunder!

Das Warten auf die neue Puppenschiff-Produktion wurde »Gott sei Dank« nicht zu einem bloßen »Warten auf Godot«, sondern letztendlich zu einem unkonventionellen »Warten aufs Christkind«. Nicht nur spannend für Kinder ab fünf Jahren, sondern auch unterhaltend für Erwachsene, die zwar nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben, aber die Drei-Könige-»Sage« trotzdem kennen. Etwa wenn Balthasar ausruft: »Freunde und Kollegen, eine Expedition ist wieder mal fällig« und neben Gold und Myrrhe kommt als Geschenk »eine Handvoll Weihrauch immer an«,

Wie immer gehören zum Puppenschiff-Auftritt: passende Musik, einfallsreiche Kulissen und durchdachte Puppen. Doch das ist in dieser Marionetten-Szenerie anders: Die Puppen sind keine Märchengestalten wie etwa im »Schneewittchen«. Sie sind Menschen in und um Jerusalem und damit ist der Sympathieträger Jamu ein »Ausländer« - »Jamu und sein Dromedar« auch ein Beitrag gegen Ausländerfeindlichkeit.

Manuela Klebing

Main-Echo vom 3. Dezember 91