Auch bei Flauten und Stürmen hält der Kapitän sein »Puppenschiff« auf Kurs
Der Stockstädter Lehrer Bernd Weber ist Vater und Kopf dieses erfolgreichen Puppentheaters

Von Aschaffenburgs über die Grenzen hinaus bekanntem Marionettentheater, dem »Puppenschiff« hat beinahe jeder in der Stadt zumindest schon einmal gehört. Nach langer Reifezeit präsentierte das Ensemble um den Lehrer Bernd Weber im März 1984 zum ersten Mal sein Können auf den weltbedeutenden Brettern. Inzwischen ist man zu einer festen Größe im kulturellen Leben der Stadt geworden. Im Herbst dieses Jahres will das »Puppenschiff« ein eigenes Theater beziehen.

Die Begegnung mit dem Gründer und Kopf des Marionettentheaters Bernd Weber könnte ohne weiteres der Handlung einer Vorabendserie entnommen sein, so sehr scheint sie das Klischee vom romantischen Künstlerdasein zu bestärken. Der Gast betritt das alte Stockstädter Schulhaus und findet sich sogleich inmitten der verschiedensten Theaterrequisiten. Holzplanken sind an die Wand gelehnt, dazu finden sich Büsten, Kisten oder Stuckteile, und nur eine Stimme, die recht wirklichkeitsnah von oben rufend bittet, sich in den ersten Stock zu begeben, beweist, daß man nicht in Michael Endes Unendlicher Geschichte gelandet ist.

Der Gast hat viel zu schauen in den Räumen, in denen die Figuren der Puppenspieler entstehen, zwischen Farbflaschen, Pinseln, Nähutensilien, Werkzeugen, Spielkreuzen und halbfertigen Puppen. Und auch wenn Bernd Weber das anfängliche Künstlervorurteil zurechtstutzt – »Puppentheater ist in der Hauptsache Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit« – ein gewisser Zauber geht von den 600 Marionetten, der Probebühne und den Werkstätten dennoch aus.

»Zuerst einmal bin ich Lehrer,« erklärt Bernd Weber. Die Freizeit freilich ist vollständig dem Puppentheater gewidmet. Anders wäre der Erfolg des Ensembles auch gar nicht möglich. Die fünf Frauen und drei Männer des Puppenschiffs machen alles selbst. Mann und Frau muß schleifen, hobeln, bohren, fräsen und kleben, und vor einer Premiere ist auch mal die eine oder andere Nacht durchzustehen. Solchen Einsatz zeigen kann nur, wer vom Spielen besessen ist. Abgänge im Ensemble gibt es, nicht zuletzt deshalb, immer wieder. Neue Mitarbeiter sind - sofern sie wissen, worauf sie sich einlassen - daher auch sehr willkommen.

Die Produktionen des »Puppenschiffs« sind in jeder Hinsicht eine Art Gesamtkunstwerk. Die Stücke schreibt Bernd Weber - einen Notizblock hat er ständig bei sich, um Ideen festzuhalten - er komponiert auch die passende Musik dazu, entwirft das Bühnenbild, die Puppen und führt Regie. Bei allem bringen die übrigen Mitglieder des Ensembles ihre Vorstellungen ein. Inzwischen sind immerhin drei abendfüllende Stücke entstanden, daneben ein Gesamtprogramm, mit dem sich insgesamt etwa 40 Stunden unterhaltsam füllen lassen.

Hervorgegangen ist das Puppenschiff, wenn man so will, aus dem Schultheater in Stockstadt. Der Puppenschiffbegründer fand es bedauerlich, daß nach ein paar Aufführungen alles immer schon wieder vorbei war. Der Aufwand sollte sich lohnen, ein Stück über längere Zeit konservierbar, aufführbar sein. Ergo wurde 1973 die Puppenbühne ins Leben gerufen, nach einer nahezu elfjährigen Aufbau- und Experimentierphase zog man 1984 zum ersten Mal vor eine größere Öffentlichkeit.

Dabei vermied man es von Anfang an, sich in die Ecke der »Kinderbelustigung« abdrängen zu lassen. Das Ensemble präsentierte Marionettentheater für Erwachsene mit Stücken wie »Nofretetes Kaleidoskop«, »Wer ist in mein Fettnäpfchen getreten?« und zuletzt »Frankensteins Hamster«, das im vergangenen Jahr Premiere feierte. »Phantastisches Kabarett« nennt der Puppenschiff-Kapitän solche Art von Marionttentheater, die man neben den bekannten Märchen bietet. Gerade dabei werden die spezifischen Möglichkeiten des Puppentheaters genutzt.

Im Skurrilen, in der phantastischen Darstellung, im Surrealen liegt die Chance, die Stärke der Puppe, des Puppentheaters überhaupt. Nur der Film verfügt über vergleichbare Möglichkeiten der Darstellung. Dazu gehören die Personifizierung des Umweltgiftes Schwefeldioxid oder eine sich selbst spielende Gitarre ebenso wie ein Herz mit Beinen oder das »Fragezeichen-Monster von Loch Ness«, um nur einige Beispiele zu nennen.

Dabei sind die Puppen im Ausdruck äußerst differenziert, finden sich alle Gefühlsnuancen, die das »poetische« Moment der Marionette ausmachen. Solches zu schaffen, setzt zum einen intensive Ausdrucksstudien voraus, zum anderen die Fähigkeit, das Beobachtete, das Gefühlte technisch umzusetzen. Bleistiftskizzen, Photoserien, Bilder gehen dem Entstehen einer Marionette voraus. Um später möglichst wirklichkeitsgetreue Bewegungen zu erzielen, sind spezielle Spielreuze zu entwickeln.

Das kostet freilich viel Zeit - sechsWochen etwa, bis Harlekin so weit war, daß er seinen Hut ab- und wieder aufsetzen konnte. Damit ist die Kunst allerdings noch nicht am Ende. In der Aufführung muß der Wechsel einer Puppe - zwei kann ein Spieler in der Regel gleichzeitig bedienen - von einem zum anderen Akteur dem Publikum verborgen bleiben. Der »Bewegungsstil« der Marionette muß also genau festgelegt und möglichst durchgehalten werden.

Nachdem die Marionetten mit ihrem Chef »Pumpernick« ziemlich herumgekommen sind, die gesamte Bundesrepublik, Frankreich und gar Afrika haben sie schon bereist, wollen sie im Herbst ein eigenes Theater in Mainaschaff beziehen, wo es neben Marionettentheater für groß und klein auch noch Kabarett, Pantomime, Jazz und andere Formen der Kleinkunst geben wird. Nach manchem Sturm mancher Flaute und nach langem Suchen hat das »Puppenschiff« also einen Hafen gefunden. Damit beginnt in gewisser Weise aber auch ein neues Abenteuer für Kapitän Bernd Weber und seine Crew.

Uwe Studtrucker

Main-Echo vom Juli 1988