Epische Irrungen und reale Wallungen -
Der König von Ithaka hätte seine Freude
Proben-Countdown in Mainaschaffs »Puppenschiff«: Am Samstag Premiere der »Odyssee«


Singe mir, Muse, die Taten des weitgereisten Mannes, / Welcher auf langer Irrfahrt, nach Trojas, der hehren, Zerstörung, / Vieler Menschen Städte gesehen und Sinn erfahren / Und auf dem Meere soviel unnennbare Leiden erduldet ...

Odyssee, Epos des Homer, 700 v. Chr.
 

Mainaschaff. Noch lassen die Puppen hinter der Bühne den Kopf und die Arme hängen, das Seeungeheuer Skylla, die Zauberin Kirke und die verführerischen Sirenen, doch heute abend ist es mit der trügerischen Unschuld vorbei. Dann werden sie Odysseus in jeder erdenklichen Form das Leben schwer machen, seine Gefährten in Schweine verwandeln und ihnen das Leben nehmen: »Die Odyssee des Homer« heißt das neue Stück des Mainaschaffer »Puppenschiffs«, das heute Premiere hat.

König Odysseus würde sich heimisch fühlen in dem wallenden Drunter und Drüber, das in diesen Tagen im Marionettentheater herrscht - nach einem Jahr gehen die Vorbereitungen für die literarische Produktion ihrem wahrlich fulminanten Ende entgegen. Und neiden würde er Theaterchef Bernd Weber seine treuen Gefährten, die jedem Frevel abhold die letzten Marionetten entknoten, Feinheiten an den beiden Bühnen ausbessern und geheime Kniffe bei der Puppenführung austauschen.

Weber als Fels in der hektischen Brandung: »Hat alles etwas länger gedauert diesmal, Odysseus ist eben immer auf Irrfahrt und wir mit ihm!« Ein 3000 Jahre altes Epos, das zweitälteste Werk der abendländischen Literatur: Wie hat das »Puppenschiff« diesen zehn Jahre umfassenden Stoff behandelt? »Man könnte das Thema satirisch angehen, oder feministisch aus der Sicht von Penelope. Aber wir haben uns entschlossen, die Odyssee in unserem bekannten Stil mit viel Musik und dem ausdrucksstarken Spiel unserer Puppen zu erzählen«, erklärt Weber.

Der König von Ithaka als Bogenschütze, als Schiffbrüchiger, als Bettler... Fünf Odysseus-Puppen mußten gebaut werden, denn wegen ihrer Fäden kann man die Marionetten nicht umziehen. 30 Helferinnen und Helfer haben in einem Jahr 50 Puppen und 13 Bühnenbilder - auf einer 40 Meter langen Leinwandrolle gestaltet, um die abenteuerliche Fahrt und die glückliche Rückkehr des Odysseus lebhaft und phantasievoll zu erzählen - ein Geniestreich ist zum Beispiel die Darstellung des Riesen Polyphem anhand eines übermenschlich großen Beines.

40 Stunden Arbeit an einer Puppe sind die Regel. »Man darf da nicht rumpfuschen. Obwohl die Bühne von den Zuschauern einige Meter entfernt ist, kann man jedes Detail der Puppengesichter erkennen.« Ein großes Problem war die Textbearbeitung, standen Weber doch vier Übersetzungen und der griechische Originaltext zur Verfügung.

Dank seiner Griechisch-Kenntnisse konnte er das Epos letztlich frei bearbeiten. Stimmen, Gesang und akustische Spezialeffekte kommen vom Band, aus der gesamten Region fanden sich Sänger und Sprecher im Tonstudio zusammen, unter anderem Wilfried Haugg von der Aschaffenburger Jungen Bühne.

Eine große Hilfe für die sieben Puppenspieler, die heute bei der Premiere Hand an die Fäden legen. Tausende Einzelabläufen müssen reibungslos über die Haupt- und Nebenbühne gehen, wenn die Figuren sich die Klinke in die Hand geben. Dabei sieht alles eigentlich so einfach aus, wenn Götterbote Hermes vorbeischwebt und Meergott Poseidon seinen Fischschwanz bewegt. Aber wehe, jemand verliert seinen Faden und davon gibt es viel mehr als man im Halbdunkel der Vorstellung vermuten würde.

Wenn alles gut läuft, spielt das Theater mit seinen drei Aufführungen gerade mal die entstandenen Kosten ein. Das Unternehmen »Puppenschiff« lebt vom Engagement und dem Idealismus der vielen freiwilligen Mitarbeiter. Gibt es noch andere Motive? Bernd Weber gesteht ein: »Um so eine Odyssee zu machen, muß man schon ein bißchen verrückt sein.«

Oder sagenhaft abenteuerlustig?
 
 

Simone Weißkopf