Farbe ins schwarz-weiße Märchenmuster
Mit »Schneewittchen« faszinierte das »Puppenschiff« seine Marionettenfans

Mainaschaff. Ruhig war es im Zuschauerraum nicht. Allzuviel gabs zu Staunen für die kleinen Zuschauer: bei der »Schneewittchen«-Inszenierung, die am Sonntag das Puppenschiff im Mainaschaffer Theater in der »Krone« vorstellte. Und verschlug es den Kleinen mal vor Faszination die Bemerkungen, waren es die erwachsenen Märchenfans, die an der uralten Schneewittchen-Story lautstark den urtypischen Puppenschiff Schliff entdeckten.

»Wenn jetzt der Vorhang fällt, ist der Wunsch dabei, daß die Welt ein wunderbares Märchen sei«, äußerte das Ensemble im Schlußakkord. Zumindest ein kleiner Teil der Welt, das Puppenschiff-Theater, wurde eine Schneewittchen-Aufführung lang zu einem bunten Märchenreich, in dem die Farben Schwarz und Weiß das Leben durchschaubar in Böse und Gut vorsortierten.

Aber auch vor einem Märchen-happy-end ist nicht alles Ende-gut-alles-gut. Das wurde den großen und kleinen

Zuschauern mit der Schneewittchen-Figur bewiesen. Mit ihm litten die Kinder alle drei Beinahe-Tode betroffen mit.

Stiefmutter trägt Gift-Grün

Am spannenden (Bühnen-)Leben hielten zahlreiche dramaturgische Kniffe den Text, den die Brüder Grimm aufgezeichnet hatten. So wird die langatmige Passage der Vorlage, in der die Stiefmutter mit Mieder, Kamm und Apfel versucht, Schneewittchen um die Märchen-Ecke zu bringen abwechslungsreich umgesetzt: Die Kammszene wird auf der großen Bühne nur nachgestellt, während auf der Simultanbühne der Zaubervogel Miraborax vom Geschehen mit umgarnender Stimme in einer »Spiegelschau« berichtet.

Wem Miraborax bei der Schneewittchen-Lektüre noch nicht unter die Lesebrille gekommen ist, der sei beruhigt: Auch diese Figur ist Teil eines Puppenschiff-Effekts, mit dem das Ensemble selbst die ganz kleinen Zuschauer bei der eine Stunde dauernden Premiere hielt. Tiere erobern immer die Sympathien der Kinder; darum wissen die Marionettenspieler aus ihrem Stück »Der Zauberer Bebrakadebra und sein Zebra«.

Treten dort die Tiere für das Gute ein, sind sie beim Schneewittchen geschickt ins Schwarz-Weiß-Muster eingeflochten. So steht shocking-pink Miraborax im Dienst der bösen Stiefmutter in gift-grüner Robe. Dem unschuldigen, natürlichen Schneewittchen sind »natürlich« die Tiere der Natur freund. Mit dem Loblied auf den Wald »Da steht links ein Baum und rechts ein Baum und zwischendrin ein kleiner Zwischenraum« bringen Grille und Igel ein Stück Unbeschwertheit in den Zuschauerraum.

Zwergen-Aufstand

Tief traurig singen sie dagegen an Schneewittchens Sarg, und schon sind Kinder wie Erwachsene gerührt. Neben den Tieren ist es vor allem die Musik, die bei der neuen »Puppenschiff«-Inszenierung die Stimmungen (über)trägt. Fast eine Marionetten-Operette wurde auf die Puppen-Beine gestellt. Die Songs holen aus den Figuren noch mehr heraus, als das Märchen hergibt.

Schneewittchen ist derart unbescholten, weil sie mit so seufzend-süßlichem Stimmchen singt. Und die Zwerge sind so fleißig, weit sie Bergarbeiterlieder schmettern, und nicht etwa Schubkarren nach Gartenzwerg-Manier über die Bühne schieben.

Vielleicht waren die Kinder von den Zwergen anfangs etwas enttäuscht, denn sie erfüllten optisch als einzige Figuren nicht die gängigen Märchenklischees - sogar der verliebte Prinz war wie aus dem Bilderbuch. Doch genau dieser »Zwergen-Aufstand« machte den Erwachsenen umso mehr Spaß.

Ein Stück Puppenschiff begegnete ihnen mit den drolligen Kerlen im Outfit von Superman im Mittelalter. Da mutete allein schon der Satz ironisch an, mit dem der Zwerg mit der Denkerstirn belehrte: »Du bist in Sicherheit mein Kind, weil wir die sieben Zwerge sind.«

Glühende Pantoffel

Anhand der Zwerge führt das »Puppenschiff« vor, wie sich Marionettentheater und Märchen, zwei Dinge, die mit Illusionen arbeiten, bedingen können. Geht es darum, Unwirkliches auf die Bühne zu bringen, ist das Künstliche, das lebendig wirkt, gefragt - Und das »Puppenschiff« hat geantwortet:

Mit dem Spieglein an der Wand, hinter dem ein Geisterwesen mit leuchtenden Augen aufflammt; mit den glühenden Pantoffeln, in denen die Stiefmutter auf Schneewittchens Hochzeit tanzen muß, bis sich ihre eigenen Worte als Orakel erweisen: »Schneewittchen, daß du glücklich bist, läßt mich in tiefstem Haß verbrennen.«

Eine Szene, die Bernd Weber und seine Mitregisseure bewußt schaurig ausspielen: »Die Kinder wollen , daß das böse Element bestraft wird. - Wo einerseits die Darstellbarkeit durch Marionetten dem Publikum psychologische Befriedigung verschaffen kann; geraten die Marionetten andererseits in die Fänge ihrer Fäden: Einen Apfel zu zerteilen, ist für die Marionette kein leichtes Spiel. Die böse Stiefmutter des Puppenschiffs kann dies - Beispiel für hohe Marionettenspielkunst, die dem Zuschauer gar nicht bewußt wird, weil die Puppen an sich faszinieren. »So solls sein«, stellte Bernd Weber zufrieden fest.

Manuela Klebing

Main-Echo vom 9. April 1991