»Wir lassen die Puppen tanzen«

Seit 20 Jahren verzaubert das »Puppenschiff« seine Zuschauer, ob jung oder alt. Fritz - das Magazin unterhielt sich mit Bernd Weber, Begründer und Vorsitzender der Marionettengruppe, und schaute sich für euch hinter den Kulissen um.

Das Eingangsportal wirkt ein wenig antiquarisch, beim ersten Blick nach innen meint man, hier herrscht das blanke Chaos, und als die Türe zur Werkstatt aufgeht, ist man ziemlich weit weg von dem Ort, den man hier erwartet hat. Ja, was hat man denn erwartet? Vielleicht ein wenig mehr Kunst, mehr Glamour, mehr vergeistigte Wesen, die nicht nur einfach gehen, sondern über einen Marmorboden schweben und Verse von Goethe, Prosa von Rilke und Märchen von den Grimm-Brüdern rezitieren.

Da steht aber nur ein Mann in schwarzem T-Shirt, mit dicken Backen, einer Hornbrille, die wenigen Haare sind zurückgekämmt. Die Begrüßung ist sehr herzlich, und irgendwie hat man sofort Sympathie für ihn ergriffen, seine Stimme ist warm, seine Augen blinken freundlich und schon weiß man, was man eigentlich erwartet hat: Genau ihn, Bernd Weber, den Puppenonkel.

Er ist der Chef der Gruppe, die eigentlich ohne Hierarchien auskommt: Im Volksmund nur »Puppenschiff« genannt, den rechtlichen Background für das Team stellt der gemeinnützige Verein »Theater in der Krone e.V.« dar. Schon seit 10 Jahren hat das Puppenschiff einen festen Spielort, eben das Theater in der Krone, in Mainaschaff, Schulstr. 3.

»Marionettentheater für jung und alt, für dick und dünn, für dumm und schlau«

bezeichnet Bernd Weber das, was er zu seinem freizeitraubenden Hobby gemacht hat. Kein Wunder, denn er lebt im ehemaligen Volksschulgebäude in Stockstadt direkt über der Marionetten-Werkstatt und seine Wohnung ähnelt sehr stark den Räumen darunter. Er ist sozusagen der »Macher«, derjenige, der für die Gesamtorganisation des Puppenschiffs verantwortlich ist. Er ist quasi Produzent, Regisseur, Kameramann und Schauspieler in einer Person. Zehn bis 15 aktive Mitglieder arbeiten derzeit im Puppenschiff mit, und alle haben ihre besonderen Begabungen: »Der eine ist Elektriker, die andere ist ein Organisationstalent, der dritte ist ein perfekter Handwerker«, sagt Bernd Weber.

Vor einiger Zeit, berichtet er, seien drei Studenten aufgetaucht. »Puppentheater, wie toll, wie schön, das haben sie gesagt«, flunkert Bernd Weber. Doch dann habe er ihnen Arbeitsaufträge erteilt, sie sollten die Stühle versetzt in Reihen aufstellen oder mit Klebstoff die Puppenkostüme nachkleben. »Da haben sie alle lange Gesichter bekommen und gesagt, sie wollten doch das Bühnenbild entwerfen. Doch dafür brauche ich keine Leute. Die Kunst ist in drei Sekunden erledigt, der Rest ist Handarbeit«, erklärt er.

Dass Bernd Weber zum Puppentheater fand, lag an seiner Heimatstadt Augsburg. Denn von dort kommt die wohl bekannteste der knapp 300 deutschen Puppenbühnen, die sich mit Fernsehproduktionen wie »Urmel aus dem Eis« oder »Lukas, der Lokomotivführer« in die Herzen von Millionen Zuschauern spielte: Die Augsburger Puppenkiste. »Außerdem komme ich aus einer Theaterfamilie«, erzählt Bernd Weber,

»'Lohengrin' kannte ich noch bevor ich lesen und schreiben konnte.«

In den Siebzigern entschloss er sich, ein Puppentheater zu gründen. »Mich hatte damals beim Schultheater geärgert, dass die Aufführungen immer auf eine sehr geringe Anzahl beschränkt waren«, sagt der Stockstädter Hauptschullehrer. Er hatte dabei an etwas gedacht, was dauerhaft ist. Und da erinnerte er sich an seine Kindheit in Augsburg zurück und daran, wie bei der Puppenkiste gearbeitet wurde: »Man macht eine tolle Tonaufnahme und anschließend kann man über Jahre hinweg das Stück spielen. Es gibt Theaterstücke, die wir seit 10 Jahren immer wieder aufführen.«

Es gab damals eine Gruppe von Jugendlichen, die mit Bernd Weber das Projekt Puppenschiff in Angriff nahmen, doch als viele von ihnen zur Bundeswehr abkommandiert wurden, gab es einen Bruch. Später dann, um 1980, traten Claudia Trunk und Bärbel Dörfler an Bernd Weber heran und es begann die Phase, in der sich das Puppenschiff als Reisetheater einen Namen machte. »Im VW-Bus sind wir durch die Lande gefahren, wir hatten viele Kleinauftritte und wir hatten viel Spaß«, so Weber.

Dann gab es den ersten abendfüllenden Auftritt in der Jungen Bühne, »auf Einladung des leider zu früh verstorbenen Peter Rauch«, das war der Durchbruch des Marionettentheaters. Von nun an war das Interesse der Öffentlichkeit und der Kulturschaffenden erweckt. Werner Wunderlich lud das Puppenschiff ins Stadttheater ein, das Erwachsenenkabarett »Frankensteins Hamster« war ein großer Publikumserfolg, das Puppenschiff war etabliert. Bernd Weber weist auf den ungeheuren Idealismus hin, der hinter dem Engagement der Vereinsmitglieder steckt:

»Alles läuft bei uns unentgeltlich ab.«

Natürlich habe man auch schon daran gedacht, irgendwann einmal die Leute zu bezahlen bzw. dass die äußerst engagierten Leute ihr Hobby zum Beruf machen können, doch der finanzielle Spielraum gab das nicht her. Der Verein »Theater in der Krone e.V.« bekommt keine Zuschüsse, weder von der Kommune noch von erbonkelbeglückten Gönnern. Saalmiete, Heizungskosten und teure Investitionen in die technische Ausstattung sowie das teure Material für die Puppen fressen die Eintrittsgelder und sonstige Einnahmen auf.

Drei verschiedene Programm-Bereiche hat das Puppenschiff zu bieten. Zum einen Puppenkabarett für Erwachsene, wie beispielsweise »Wer ist in mein Fettnäpfchen getreten?«, das auch nach 10 Jahren Spieldauer immer noch aktuell ist, da nicht tagespolitisch, sondern eine urkomische Darstellung von menschlichen Schwächen. Dass die Zuschauer über ihre eigenen Fehler und menschlichen Unzulänglichkeiten lachen, liegt daran, dass »eine Puppe im Vergleich zu einem Schauspieler alles sagen darf«, sagt Weber.

Zweiter Schwerpunkt des Puppenschiffs sind verschiedene Kinderstücke, wie die Märchen »Der gestiefelte Kater« und »Schneewittchen« sowie eigengeschriebene Stücke wie »Das bunte Kind vom grauen Stern«, »Der Zauberer Bebrakadebra und sein Zebra« sowie den Weihnachtsklassiker »Jamu und sein Dromedar«. »Aschenputtel« steckt mitten in der Vorbereitung, für Januar oder Februar ist die Premiere geplant.

Schließlich gibt es noch die sogenannte Literaturschiene: »Es macht uns immer wieder Freude, die Vorform des "Faust" zu spielen, nämlich "Das alte Puppenspiel vom Doktor Faust", das Stück, das Goethe inspiriert hat, oder Hans-Christian Andersens "Schneekönigin"«, sagt Bernd Weber.

Siebenhundert Puppen umfasst mittlerweile das Arsenal des Puppenschiff, eine Marionette kostet ungefähr 40 Stunden reine Arbeitszeit. Bei der Herstellung sei man von Lindenholz abgekommen, so Weber-, »wir benutzen jetzt Holzschliffmasse mit Kleisterzusatz und bemalen die Puppen mit Fassadenfarben oder Plakafarben.

Die Gruppe hat schon viel erlebt in ihrer fast 20jährigen Geschichte. Auftritte in Afrika, Besuche vom Botschafter aus Uganda, noble Firmenfeiern sowie einige komische Momente während Aufführungen. »Es kam schon einmal vor, dass wir den Jäger aus "Schneewittchen" vergessen hatten, da haben wir kurzerhand den Räuber umfunktioniert«, erzählt Bernd Weber. »Und dann ist ebenfalls bei "Schneewittchen" das Tonband bei der Frage stehengeblieben: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?" Ich musste dann meine Puppe einem anderen in die Hand drücken und mit den Fingern das Band zu Ende drehen.«

Wie lange er noch seinem Hobby frönen will, hat uns Bernd Weber nicht verraten, doch wahrscheinlich noch sehr, sehr lange.

Rainer Glaab

Fritz - Das Magazin, September 99